Die Tische im ansprechend dekorierten
Speisesaal waren gut besetzt, es gab etwas Besonderes zu genießen – einen
Event. Ein Spätsommermenü mit Weinbegleitung. Teuer zwar, aber die Karte sah
verheißungsvoll aus. Also hatten die Begüterten und Unternehmungslustigen in
der Seniorenresidenz gebucht und ohne Murren vorab bezahlt.
Der Gruß aus der Küche, etwas
Undefinierbares aus dem Meer, aber lecker, wurde von einem Sekt begleitet. Man
prostete sich zu am Tisch von Herrn Meier. Schon wurde der Wein zum ersten Gang
eingeschenkt: ein Weißwein-Cuvée, aber von einem renommierten Weingut, Baden,
2012. Ein Kenner am Nebentisch, Herr Müller, ließ verlauten: 2012, na ja. Aber zu Bachkrebsen auf Couscous verzeihlich. Herr Meier hatte die Kritik mitbekommen, teilte sie nicht – die Weine der letzten Jahre waren alle in Ordnung, zumal die aus Baden, teilte er dem gemischten Publikum an seinem Tisch mit.
Eine winzige Pause und schon
kamen die Servierinnen mit dem nächsten Wein. Ah, Mosel, Riesling „Alte Reben“,
Weingut Soundso. Herr Meier verlas den Text aus der Karte, die sowieso alle zur
Hand hatten, deutlich, akzentuiert, mit Betonung auf Alte Reben. Fügte dann
hinzu: Die Rebstöcke müssen mindestens 25 Jahre alt sein, damit der Wein diesen
Zusatz erhalten kann. Ob das alle wussten, blieb unklar, man blickte bereits
den Serviererinnen entgegen, die den Seesaibling auftrugen. Das Grüne neben dem
Filet war Kressepüree, wie man nachlesen konnte. Es schien allen zu schmecken,
Herr Meier drehte sein Glas in der Hand – leer. Aber schon kam eine der jungen
Damen auf ihn zu: Darf ich nachschenken? Huldvolles Nicken. Er hatte seine
Karte konsultiert und sah zum nächsten Gang kalifornischen Wein auf sich
zukommen.
„Das geht aber gar nicht“, trompetete er über den Tisch, „Kalifornischer, noch dazu 2013.“
Es regte sich Widerspruch, auch
Herr Müller setzte zu einer Verteidigung des Weines an; seine Frau zupfte an
seinem Ärmel, um ihn am Sprechen zu hindern, vergeblich. „Sind Sie inzwischen
zum Weinkenner mutiert, lieber Herr Meier?“ Das war recht provozierend. Die
Wirkung auf die Tischrunden war unterschiedlich. Einige der Damen kicherten,
einige der Herren sahen einen Streit heraufziehen. Jeder bedachte bei sich, auf
welche Seite er sich stellen sollte. Beide, Meier und Müller, gehörten zu den
Alphamännchen im Haus, die jeweils eine Horde Mitläufer und Abnicker hinter
sich hatten. Wobei Männchen nicht der richtige Ausdruck ist, jedenfalls bei
Herrn Meier, er reichte an das Format von Bud Spencer, seligen Angedenkens,
heran. Allerdings nicht, was den Humor betrifft. Obwohl man bei dem ja auch
nicht wusste, ob er im realen Leben tatsächlich so witzig war wie in seinen
Filmen. „Das geht aber gar nicht“, trompetete er über den Tisch, „Kalifornischer, noch dazu 2013.“
Nach einiger Überlegung erwiderte Meier: “Mutiert, was soll denn das heißen? Meine Frau und ich haben etliche Weingüter kennengelernt auf unseren Reisen. Und nicht nur in Deutschland. Außerdem wird hier jeder seine Meinung sagen dürfen, nicht wahr, Herr Müller?“
„Weingüter besuchen, das will noch gar nichts heißen“, erwiderte Müller. Schwieg dann aber.
Der Kalifornische wurde eingeschenkt und gleich danach standen die Teller mit Selleriecreme und Porree auf dem Tisch. Das kannte man sonst nur als Suppengrün, na, das hatte auch nichts Besseres als den Kalifornischen verdient. Dekoriert und arrangiert war das grüne Gemüse allerdings ganz ansprechend, übergossen mit Nussbutter. Von den anderen äußerte sich niemand zum Wein. Konnten sie nicht oder wollten sie nicht? Leises Geplauder begleitete diesen vegetarischen Gang, der Zeitgeist führte zu solchen absonderlichen Genüssen oder ist so etwas dem „Event“ geschuldet? Wegen der erforderlichen Abwechslung in einem Menü? Man war sich nicht einig. Über den Wein wurde nicht gesprochen, auch wurde beim Anbieten eines weiteren Schlückchens abgewinkt, man wollte Herrn Meier nicht beschämen.
Der wandte sich jetzt seinen Tischnachbarn
zu, seine Stimme hatte an Kraft gewonnen, inzwischen drei Mal Wein und einmal
Sekt, das stärkte das Selbstbewusstsein weiter.
„Pinot Noir von der Ahr – zum Fleischgang, wie passend. Trocken selbstverständlich.“
„Finden Sie, dass sich das besser anhört als Grauburgunder, Herr Meier?“ Auch Herr Müller war beflügelt von den bisher genossenen Weinen.
„Es steht nun mal so in der Karte“, antwortete der.
„Und darum frage ich mich, warum Sie es mit Stentorstimme verkünden müssen. Wir können alle lesen, oder?“ Er wandte sich an seinen Tisch und lächelte insbesondere den Damen zu.
Und schon wurde der Ahrburgunder ausgeschenkt, gefolgt vom Hirschrücken. Das war interessanter als der Streit über die Weinkenntnisse. Hirschrücken, fast noch blutig, toll, mit bunten Rübchen und Lorbeerjus. Hatten sie etwa einen neuen Koch im Haus? Mehr oder weniger angeheitert prostete man sich zu, auch über unsichtbare Grenzen hinweg.
„Hirsch muss man aus der Eifel beziehen, woanders her, das geht gar nicht.“ Herr Meier gab weitere Insiderkenntnisse von sich.
„Ach, woher denn diese Weisheit, Herr Meier?", fragte Herr Müller
Der spielte nun eine weitere Karte aus. „Von einem Drei-Sterne-Koch. Hirsch nur aus der Eifel, Lamm nur aus Frankreich.“
Dabei hatte er sein Glas Ahrwein in Richtung auf Müller erhoben und dann mit Aplomb auf den Tisch gestellt. Rotwein geht gar nicht raus – dachten alle Damen. Das Malheur hatte Herrn Meier zurückgeworfen, er schwieg. Müller schwieg auch, aber triumphierend. Einen Augenblick schwiegen alle. Dann bemühte man sich, den Hirschbraten zu genießen, ebenso den Wein, manchen Damen war er zu trocken. Nur geflüstert.
„Pinot Noir von der Ahr – zum Fleischgang, wie passend. Trocken selbstverständlich.“
„Finden Sie, dass sich das besser anhört als Grauburgunder, Herr Meier?“ Auch Herr Müller war beflügelt von den bisher genossenen Weinen.
„Es steht nun mal so in der Karte“, antwortete der.
„Und darum frage ich mich, warum Sie es mit Stentorstimme verkünden müssen. Wir können alle lesen, oder?“ Er wandte sich an seinen Tisch und lächelte insbesondere den Damen zu.
Und schon wurde der Ahrburgunder ausgeschenkt, gefolgt vom Hirschrücken. Das war interessanter als der Streit über die Weinkenntnisse. Hirschrücken, fast noch blutig, toll, mit bunten Rübchen und Lorbeerjus. Hatten sie etwa einen neuen Koch im Haus? Mehr oder weniger angeheitert prostete man sich zu, auch über unsichtbare Grenzen hinweg.
„Hirsch muss man aus der Eifel beziehen, woanders her, das geht gar nicht.“ Herr Meier gab weitere Insiderkenntnisse von sich.
„Ach, woher denn diese Weisheit, Herr Meier?", fragte Herr Müller
Der spielte nun eine weitere Karte aus. „Von einem Drei-Sterne-Koch. Hirsch nur aus der Eifel, Lamm nur aus Frankreich.“
Dabei hatte er sein Glas Ahrwein in Richtung auf Müller erhoben und dann mit Aplomb auf den Tisch gestellt. Rotwein geht gar nicht raus – dachten alle Damen. Das Malheur hatte Herrn Meier zurückgeworfen, er schwieg. Müller schwieg auch, aber triumphierend. Einen Augenblick schwiegen alle. Dann bemühte man sich, den Hirschbraten zu genießen, ebenso den Wein, manchen Damen war er zu trocken. Nur geflüstert.
Eine kleine Pause trat ein.
Was sagte die Karte? Nachtisch. Ungewöhnlich: Salzkaramelleis, Malt Whiskey mit
etwas Exotischem. Das stellte sich später als ganz edler Pudding heraus. Auf
der Seite, auf der die Weine standen, war mit dem Ahrwein Schluss. Wie also
weiter?
„Zur Nachspeise gehört Champagner.“ Herr Meier hatte sich gefangen, wollte sein Malheur vergessen machen. Die Damen merkten auf. Schön. Da kamen auch schon die Tabletts mit den Glasflöten. Ah. Man trank und es war wie mit des Kaisers neuen Kleidern, niemand wagte zu sagen, dass es schnöder Sekt war.
„Zur Nachspeise gehört Champagner.“ Herr Meier hatte sich gefangen, wollte sein Malheur vergessen machen. Die Damen merkten auf. Schön. Da kamen auch schon die Tabletts mit den Glasflöten. Ah. Man trank und es war wie mit des Kaisers neuen Kleidern, niemand wagte zu sagen, dass es schnöder Sekt war.
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