Samstag, 14. Januar 2017

Lärm

Gerda und Johanna sitzen in der Cafeteria bei ihrem Latte Macchiato und kämpfen offensichtlich beide mit sich, ob sie das äußern sollten, was ihnen durch den Kopf geht.
„Mal vorausgeschickt: Ich wohne sehr gern hier am Haus am Kirchberg …“
„Ja, und was kommt jetzt?“, fragt Johanna und schiebt ihre schlohweißen Haare nach hinten, dabei sitzt ihre Frisur tadellos.
„Findest du nicht auch, dass es manchmal recht ungemütlich ist hier im Haus?“, fährt Gerda fort.
„Meinst du den ständigen Baulärm?“
„Ja, klar. Sie bitten natürlich immer um Verständnis, irgendwie bringt man das ja auch auf …“
„Mir fällt das manchmal verdammt schwer. In der Hauptsache werden wohl die Sanitärräume modernisiert. Sieht man ein, macht aber höllischen Lärm, das Entfernen der alten Fliesenbeläge und was da sonst noch passiert.“ Johanna.
„Ich wohne ja noch in der alten Einrichtung, Stufe an der Duschwanne und völlig glatter Boden, man rutscht auch ohne Seife …“, klagt Gerda und zieht ein schiefes Gesicht.
„Ja, ich auch, ich hab da jetzt was auf den Boden geklebt, damit ich mich nicht immer festhalten muss.“
„Und du bist zufrieden mit der Lösung?“, Gerda.
„Bin ich, ist aber teuer.“
„Das Renovieren ist wahrscheinlich auch teuer. Aber vor allem laut.“ Gerda kommt zur ursprünglichen Klage zurück.
„A propos laut.“ Johanna hat offensichtlich auch etwas auf dem Herzen. „Warst du kürzlich auch bei der Silvesterfeier? Gesehen habe ich dich nicht.“
„Nein, ich war außer Haus, hab dann auch bei Irmgard geschlafen. Du kennst sie doch, die mit dem tollen Schmuck. Ab und zu kommt sie ja mal hierher.“ Gerda hätte gern weiter über Irmgard geredet, merkte aber, dass Johanna gar nicht zuhörte.
Die wollte offensichtlich weiterklagen. „Da hast du nichts verpasst, im Gegenteil, es ist dir was erspart geblieben.“ Sie hielt inne, um die Spannung zu erhöhen.
„Eine Sängerin, etwa in unserem Alter …“
„Donnerwetter, die hatte aber Mut.“ Gerda begann zu ahnen.
„Ja, weit mehr als Stimme, sag ich dir. Ich habe nicht geklatscht. Andere waren höflicher. Aber eigentlich war das nicht das Schlimmste: Das war der Klavierspieler.“
„Ach, der ist doch oft hier, spielt nette Melodien aus unserer Jugendzeit, mir gefällt das“, sagte Gerda ganz erstaunt.
„Der war’s aber nicht. Ein Neuer. Gegen den ist der Baulärm gar nichts. Der Baulärm macht Pausen, der aber nicht. Kaum hatte die Sängerin ihren Vortrag beendet und Platz genommen, ging es wieder los. Jedes Gespräch am Tisch verstummte, nicht vor Begeisterung für das Klavier, sondern notgedrungen. Man verstand seine Nachbarn nicht mehr.“ Gerda entnahm dem Gesichtsausdruck von Johanna, dass es schlimm gewesen sein musste.
„Wie war denn das Essen?“
„Lecker, aber verdammt teuer.“
„Wahrscheinlich mussten sie Überstunden bezahlen, es war ja eine Zusatzleistung. Und das wirkt sich auf den Preis aus.“
„Ja, mag sein. Es war sehr nett gedeckt und wie gesagt, geschmeckt hat’s. Wenn nur der Höllenlärm nicht gewesen wäre.“ Johanna schien noch immer den Klang im Ohr zu haben und schwieg.
Nun blickten beide stumm zum Fenster hinaus. Draußen lag noch ein wenig Schnee. Wenigstens war es im Moment hier in der Cafeteria nicht allzu laut. Sie war nicht so gut besucht wie sonst.
Johanna sah sich um und erstarrte: Ein Mann näherte sich dem Flügel, der hier in der Ecke stand.
„Gerda! Das ist er! Jetzt nichts wie weg.“

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