Sonntag, 17. September 2017

Frau Dingsda

Es ist ein milder Abend nach einem heißen Tag. Den will Mariechen noch genießen, setzt sich auf die Bank vor dem Haus und träumt vor sich hin. Doch bald ist es aus mit der Ruhe. Die Nachbarin steht vor ihr und reißt sie aus ihren Träumen. Und schon schnattert diese los. Alles so ein Tratsch aus der Nachbarschaft. Mariechen schaltet auf Durchzug.
Heute habe ich in der Stadt die Frau – ähm – die Frau Dingsda getroffen. Weißt du, die früher im Eckhaus gewohnt hat.“ Ja, Mariechen erinnert sich. Die trug noch immer eine Kittelschürze, als diese schon lange aus der Mode war. „Wie heißt die denn noch mal?“, will die Nachbarin wissen. Mariechen überlegt, aber ihr will der Name nicht einfallen, obwohl sie ihn sicher hundert Mal gesagt hat.
Ach diese Plage, dass man immer die Namen vergisst“, seufzt die Nachbarin.
Das hat mit dem Alter zu tun“, erklärt Mariechen. „Da wird man vergesslich."
Nee, nee“, wehrt sich die Nachbarin. „Mein Neffe ist kaum 40 und der vergisst auch immer alle Namen. Er muss sich diese stets aufschreiben.“ Beiderseitiges Kopfnicken. „Mir liegt der Name auf der Zunge!“, wieder die Nachbarin, “aber er will nicht raus.“Hieß die nicht Frau Groß“ kramt Mariechen in ihrem Gedächtnis.
„Nee, nee“, die Nachbarin wieder. „Die ist zwar groß, aber die heißt nicht Groß. Ganz bestimmt nicht!“
Die beiden Damen wechseln das Thema. „Was kommt denn heute im Fernsehen?“ Gemeinsames Überlegen.
Spät am Abend. Mariechen hat Fernsehen geguckt. Irgendeinen Krimi. Wie hieß der doch gleich? Ist ja auch unwichtig. So was muss man sich nicht unbedingt merken. Das weiß das Gehirn ganz genau und legt die Information auf Eis in irgendeiner Gehirnecke. Mariechen brüht sich ihren Schlaftee auf und setzt sich gemütlich auf die Couch. Da geht das Telefon. Wer ist das denn noch!
Sie nimmt den Hörer ab und da tönt es ihr auch schon lautstark entgegen. „Ich bin et nur!“ Die liebe Nachbarin.
„Ist was passiert“, fragt Mariechen erschrocken.
„Nee, nee, aber ich weiß jetzt wie die Frau vom Eckhaus heißt. Ist mir eben eingefallen.“ Und sie beginnt wieder ihr Parlieren im Schnelltempo. „Also, ich war noch ein paar Teller am abwaschen am tun, dachte an dies und das oder besser gesagt an gar nix, da macht es plötzlich klick und da fiel mir der Name schnaggewesch wieder ein.“
Ja, das Gehirn arbeitet weiter, kramt in allen „Schubladen“, in denen irgendwelche unwichtigen Dinge abgelegt wurden und dann - plötzlich – schwupps, alles klar. Ja, verloren geht nichts im Kopf.
Und wie ist der Name“, will Mariechen nun endlich wissen. „Sag schon, mach et nit so spannend."
Die Nachbarin macht eine Pause, es muss ja richtig spannend sein und erst nach einigem Räuspern gibt sie das Geheimnis preis: „Die heißt Kleinschmidt!“
Kleinschmidt“, wiederholt Mariechen. „Ja richtig! Kleinschmidt! Ich habe ja gleich gesagt, dass es etwas mit „Groß“ zu tun hat."
Sophie Lange

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung und in der Datenschutzerklärung von Google.
Beide Links auf der Seite Datenschutz