Freitag, 27. April 2018

Raue Sitten in der Maiennacht


von Sophie Lange

Wir wollen ungefähr 100 Jahre zurückschauen, genau in das Jahr 1923. Dieses Jahr habe ich für meine Geschichte ausgewählt, weil da die Maiennacht eine Vollmondnacht war, wie jetzt 2018, wo der Mond ebenfalls in der Nacht vom 30. April auf den 01. Mai seine volle Schönheit zeigt. Vollmond in der Walpurgisnacht,  zwei magische Momente treffen aufeinander.

Heimlich schleichen sich Maria und Anna, die 15jährigen Zwillinge, aus dem Haus. Der Mond steht rund und voll am Himmel und wirft sein fahles Licht in die engen Gassen des kleinen Eifeldorfs, streift an Stallwänden vorbei, nestelt an winzigen Fachwerkhäusern entlang, zittert in dichten Weißdornhecken. Geisterhafte Schatten lassen alles unwirklich erscheinen, verzerrt, geheimnisvoll. Trotz der unheimlichen Stimmung wollen die Mädchen erkunden, was die Burschen in dieser Nacht vom 30. April auf den 1. Mai treiben, in einer Nacht, in der die Mädchen nach alter Sitte brav zu Hause bleiben sollen.

Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.

Nach alter Tradition ist es für die männliche Jugend eine Freinacht und so sind geisterhaftes Herumspuken und harmlose Schelmenstreiche erlaubt. Hinter einer Hecke versteckt beobachten die Mädchen die ersten Burschen, sogar ihr jüngerer Bruder ist dabei. Mit Holzblöcken verbarrikadieren sie eine Haustür. Das nächtliche Himmelgestirn spendet ihnen spärliches Licht dazu. Im nächsten Haus hängen sie das Gartentürchen aus, etwas weiter die Fensterläden. In der Ziegenscheune, in der die Dorfziegen nach ihrem Weidegang ihr Nachtlager finden, öffnen sie weit das Scheunentor. „Kommt raus“, locken sie die Tiere. Aber die lassen sich nicht im Schlaf stören. So ziehen die Burschen weiter und lassen das Tor weit offen. Irgendwann werden die Tiere schon den Weg in die Mondnacht finden und dann ist morgen früh großes Suchen angesagt.

Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.

Maria und Anna haben genug gesehen von den kindlichen Streichen der Halbwüchsigen. Der Mond zieht sie magisch weiter, führt sie auf den Weg zur Dorfschänke, wo die Mädchenversteigerung stattfindet. Die Junggesellen des Ortes bieten auf die Jungfrauen des Dorfes, mit denen sie dann als Mailehen (von leihen) zum Maitanz gehen dürfen, und diese vielleicht sogar für eine lebenslange Verbindung gewinnen. „Nächstes Jahr mit 16 Jahren sind wir auch dabei“, flüstert Maria ihrer Schwester zu.

Weit sind die Fenster der Gastwirtschaft geöffnet und so können die Horchenden die Angebote des Scholtes verfolgen: „Kathring, kratzbürstig und hoffärtig, kott und neuh (böse und geizig) hat aber wat an de Füß.“

Ein Mädchen, das durch ihre Familien Ackerland besitzt (was an de Föß hat), ist begehrt. Schon kommen die ersten Angebote. Schließlich erhält Andreas für 100 Maimark (= 10 Mark) den Zuspruch. Als Bauernsohn weiß er, wie wichtig Ackerland ist. Da nimmt man friedlose Tage und lieblose Nächte an der Seite einer griesgrämigen Frau gerne in Kauf.

Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.

Mit dem 'biblischen Alter' von 75 Jahren ist Ilse an diesem Abend die älteste Jungfrau auf der Liste: „Groß und dürr, altmodisch und rückständig, kann aber gut kochen“, wird sie vorgestellt. Aber keiner bietet auf das Fräulein und schon kommt der Spottruf: „Ilse, Bilse, keiner will se.“ Sie landet symbolisch unter dem Tisch, wo schon andere Unverkäufliche gestrandet sind. Vielleicht erbarmt sich zum Schluss ein betagter Schardeng (Junggeselle), der den ganzen Ramsch großzügig aufkauft, um dann stolz wie Oskar mit mehreren Jüfferchen beim Maiball aufzulaufen. 

Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.

Etwas später sind die Burschen auf der Straße. In einer Scheune haben sie Maien hinterlegt, junge Birken, die sie nachmittags aus dem Wald geholt haben. Jede unverheiratete Frau der Dorfgemeinschaft bekommt einen Maien ans Haus gesteckt, damals noch ungeschmückt und ohne bunte Bänder. Doch nicht jeder Maien ist ein Kompliment, denn es gibt auch einen Schandmaien, Ob auch dieses Jahr jemand gerügt wird? Tatsächlich, da ist er, der Schandmai. Ein Zweig von einem wilden Kirschbaum. Heimlich folgen die Mädchen der Burschengruppe. Der Mond züngelt durch die Gassen. Eine Krähe streift die Köpfe der Nachtschwärmer, erschreckt schreien sie auf; ein Hund offenbart jaulend dem hellen Himmelgestirn seine Sehnsüchte.

Da - vor Drückchens (Gertrud) Haus halten die Maijungen an und  stellen den Schandmai vor die Haustüre. „Was hat die denn angestellt?“, fragt Anna erstaunt. Maria hat etwas läuten gehört. Drückchen soll die Maiversteigerung als „Viehmarkt“ diffamiert haben, wo die beste „blöde Kuh“ den höchsten Preis erhält. Die Junggesellen lassen sich ihr Brauchtum nicht mies machen. Ein blattloser Schandmai ist die Reaktion. 

Es herrschten raue Sitten 1923 in der Eifel.

Maria und Anna beschließen nach Hause zu gehen. Die Vollmondnacht wird immer unheimlicher, stiller, feiertagsstill. Nur ein geheimes Raunen liegt in der Luft. Sind die Hexen unterwegs? Immerhin gilt die Walpurgisnacht auch als Hexennacht. Die Mädchen atmen auf, als sie wieder sicher zu Hause sind und in ihre Betten kriechen können. 

Noch immer gibt es manches Brauchtum in der Eifel in der Maiennacht: Versteigerungen, Maien stecken, Aufstellen eines Maibaums auf dem Dorfplatz. Im Laufe der Jahrzehnte hat sich indes einiges geändert, entschärft, modernisiert. Nur der Mond ist noch immer derselbe.


3 Kommentare:

  1. Wieder eine gelungene Geschichte und eine gute Vorbereitung auf die erste Mainacht, die heute oft laut mit Musik und Tanz in Großraumhallen aber auch romantisch mit großen Herzen am Haus der Liebsten oder im Rahmen der Emanzipation des Liebsten gefeiert wird. Und in diesem Jahr sogar mit Vollmond🌕

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  2. Nur spielt das Wetter nicht so ganz mit. Trotzdem kann es romantisch werden.

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  3. Hier bei mir ist es nicht romantisch sondern rau. Es stürmt entsetzlich.

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