Ihr Entschluss ist gefasst, sie ist ganz ruhig. Ihre rechte Hand gleitet in die Tasche des schneeweißen Bademantels, ja sie sind da, die Tabletten. Noch ein paar tiefe Atemzüge, dann greift sie zum Glas, um es endlich leer zu trinken. Das grüne Zeug schmeckt ekelhaft - soll aber gesund sein.
Die Liegestühle in der elegant ausgestatteten Halle mit den großen Fenstern sind sämtlich noch besetzt, ein weißer Bademantel neben dem anderen, darüber blonde, schwarze und graue Köpfe. Johannas Blick bleibt auf Kunigunde haften, so hat sie sie selbst genannt. Zu ihrer Nachbarin gewandt:
„Sehen Sie sich das an: Operationen, Ersatzteile, Kosmetik, Friseur und ein eiserner Wille halten das Ganze zusammen.“ Ihre Nachbarin kichert und ergänzt: „Und natürlich ein Bankkonto als Grundlage.“
Dieses Bankkonto ist nach Johannas Vermutung der Grund, warum Doktor Eisenbart – auch eine private Namensgebung – dieser Dame so viel Aufmerksamkeit schenkt. Bis zur Ankunft Kunigundes war sie selbst Objekt seiner Schmeicheleien gewesen. „Und unser guter Doktor betet den Mammon an.“ So bestätigte die Nachbarin ihre These. Beide lächeln einvernehmlich, Johanna etwas verkniffen. Sie greift noch einmal nach den Tabletten: Die muss weg.
Etwas mühsam erhebt sie sich dann aus ihrem Liegestuhl, versucht trotzdem eine elegante Pose – Doktor Eisenbart steht am Eingang, an ihm muss sie vorbei, wenn sie zu ihrer Suite will.
„Johanna, Sie verlassen vorzeitig den Ruheraum? Das gefällt mir gar nicht. Sie brauchen diese Erholungsphase.“ Der Doktor lächelt Johanna an, ganz so wie früher, denkt sie.
„Ach, lassen Sie mich, die harten Stühle hier, das passt mir nicht“, sagt Johanna.
„Unsere Prinzessin auf der Erbse.„
Vor der Tür des Ruheraums kommt sie an dem Regal vorbei, an dem sich die Damen bedienen, wenn sie herunterkommen zur Ruhephase. Die Fächer sind mit Namen versehen und enthalten die täglich wechselnden Gesundheitstränke. Viele murren darüber, aber Doktor Eisenbart geht mit gutem Beispiel voran, auch sein Glas steht im Regal. Jetzt ist alles leer, die Damen ruhen ja schon.
Gegen elf Uhr am nächsten
Morgen ist Johanna ganz erschöpft von all den Behandlungen, die sie schon hat
über sich ergehen lassen müssen. Oder hat sie sie genossen? Das fragt sie sich,
während sie in aller Ruhe die Kapseln zerschneidet, die das Fingerhutpräparat
enthalten. Sie will nicht länger zusehen, wie Eisenbart Kunigunde hofiert. Ob
sie ihn zurückgewinnt, das ist ihr eigentlich gleichgültig – aber Kunigunde
muss weg, jedenfalls so lange, wie ihr eigener Aufenthalt hier im Haus noch
dauern wird. Aus einer Serviette bastelt sich Johanna ein Tütchen, es muss ja
schnell gehen beim Einfüllen des Giftes in Kunigundes Becher. Sie hat es schon
ein paar Mal geübt mit Zucker und ist jetzt sicher, dass es klappen wird.
Es ist acht Uhr am Abend,
Johanna macht einen kleinen Spaziergang im Park. Dabei hat sie den Eingang zum
Haus am Blauen See im Auge. Sie wartet auf den roten Wagen mit dem Martinshorn,
ihr Pülverchen muss doch allmählich Wirkung zeigen. In Eile und im Halbdunkel
hatte sie ihr Tütchen geleert. Später hatte sie gesehen, dass alle Gläser leer
waren. Auch das von Eisenbart, vorbildlich von ihm, dass er auch von dem Sud
trinkt. Sie wartet vergebens. Nein, nicht wirklich vergebens: Ein schwarzes
Auto fährt vor. Zwei schwarzgekleidete Herren tragen etwas, was aus der
Entfernung wie ein Sarg aussieht. Es ist ein Sarg. Ein unbeschreibliches
Glücksgefühl durchfließt Johannas alten Körper, sie muss sich setzen. Das hatte
sie nicht zu hoffen gewagt. Ein längerer Krankenhausaufenthalt hätte ihr
genügt. Aber wieso gibt es keine Polizei im Haus? Eigentlich keine Frage.
Doktor Eisenbart kann sich dergleichen nicht leisten. Der Totenschein wird auf
Herzversagen lauten. Und stimmt das nicht auch?
Johanna unternimmt einen
Morgenspaziergang im Park. Es wimmelt von weißen Bademänteln, dazwischen die
rosa Kostümchen der Schwestern, die die ein wenig gebrechlicheren Damen
begleiten. Eigentlich so etwas wie ein Altenheim, nur besseres Essen und
bessere Zimmer, denkt Johanna.
Man begegnet sich, man nickt sich zu, man ist ja so positiv trotz aller Beschwerden. Aber irgendetwas ist anders als sonst, die Stimmung scheint gedrückt, vor allem bei den Schwestern. Ja, irgendetwas war schon heute Morgen anders, die Visite hatte der Jungspund, so Johannas Namensgebung, übernommen.
Johanna strebt zu einer Bank, von der aus man über den kleinen See blicken kann. Leider sitzt schon jemand dort. Johanna erstarrt. Bleibt stehen. Ringt nach Luft. Unmöglich: Kunigunde. Wer lag gestern Abend im Sarg?
Man begegnet sich, man nickt sich zu, man ist ja so positiv trotz aller Beschwerden. Aber irgendetwas ist anders als sonst, die Stimmung scheint gedrückt, vor allem bei den Schwestern. Ja, irgendetwas war schon heute Morgen anders, die Visite hatte der Jungspund, so Johannas Namensgebung, übernommen.
Johanna strebt zu einer Bank, von der aus man über den kleinen See blicken kann. Leider sitzt schon jemand dort. Johanna erstarrt. Bleibt stehen. Ringt nach Luft. Unmöglich: Kunigunde. Wer lag gestern Abend im Sarg?