Freitag, 17. November 2017

Im Waschsalon


Gerda schleppte einen Korb mit nicht mehr ganz sauberer Wäsche – das Wort schmutzig kam nicht mal in ihren Gedanken vor – in die Waschküche des Hauses am Kirchberg. Ach, verdammt, dachte sie, als sie die Tür öffnete, schon jemand drin und also vor mir dran. Mürrisch sagte sie „Guten Tag“ und mürrisch schob sie ihren Korb unter den Tisch,  an dem der Jemand saß. Er hatte sehr freundlich zurückgegrüßt und wies nun einladend auf den zweiten vorhandenen Stuhl.
„Wir kennen uns doch, wenigstens vom Grüßen her im Speisesaal“, eröffnete er die Konversation.
„Ja, stimmt“, antwortete Gerda und ihre Miene hellte sich auf. Den fand sie eigentlich ganz nett, hatte ihn gar nicht erkannt in seinem Freizeitlook. Auch ihre Freundinnen hatten sich schon positiv über ihn geäußert. Immer höflich, immer freundlich, immer einen munteren Scherz parat, so hieß es. Außerdem solo, ob ledig oder verwitwet – das war noch unbekannt. Auch nicht so wichtig.
Gerda hatte es sich am Tisch bequem gemacht, sprang aber gleich wieder auf, als sie feststellte, dass der Jemand nicht die Waschmaschine belegt hatte, sondern schon beim Trocknen war. Mit wenigen Handgriffen war das Waschen vorbereitet, die Wäsche eingefüllt und der entscheidende Knopf gedrückt. Zeit für einen Plausch. Und dabei die Gelegenheit festzustellen, ob er wirklich solo war. Ob nicht im Hintergrund eine Lebensgefährtin lauerte, oder eine Freundin oder was auch immer an weiblichen Figuren möglich war.
„Kommen Sie denn mit dem Waschen zurecht?“, fragte Gerda also.
„Ja, natürlich, ich wohne schon eine ganze Weile hier im Haus.“
„Niemand, der Ihnen diese lästige Arbeit abnimmt?“
„Das hab ich nicht nötig, ich kann das alles selbst, das hat mir schon meine verstorbene Frau zeitig genug beigebracht.“ Also Witwer.
„Ja, selbst ist der Mann“, scherzte Gerda.
„Sie würden sich wundern, was ich alles selbst kann.“ Der Jemand warf sich in die Brust und Gerda wartete darauf, mit was er nun angeben würde. Vergeblich. Sie wurde auch abgelenkt, irgendetwas stimmte nicht mit ihrer Waschmaschine. Geräusche, die sie sonst nicht von sich gab.
„Kann ich Ihnen helfen?“, der Jemand war aufgesprungen, ebenfalls alarmiert von den Geräuschen. Er stürzte zu ihrer Waschmaschine und begann wild mit den Knöpfen zu hantieren. Die Töne nahmen dramatische Höhen an und mit einem gewaltigen „Klack“ war die Sache beendet. Still ruhte Gerdas Wäsche in der Lauge. Der Trockner daneben drehte weiter seine Runden. Gerda erwartete, einen zerknirschten Jemand vor sich zu sehen. Aber nein, siegesgewiss stand der Jemand neben ihrer Waschmaschine. „Das haben wir gleich.“ Wir.
„Ich habe keine Ahnung, wie ich das hinkriegen soll, da muss ich den Technischen Dienst rufen. Oder ich gehe gleich rüber in die Werkstatt.“ Gerda verzichtete darauf, „wir“ zu sagen. Es war ihre Wäsche, auch wenn der Jemand den Zusammenbruch verursacht hatte.
„Aber gnädige Frau, das ist nicht nötig, das kriegen wir allein hin.“ Leider kam ihm keine Entschuldigung über die Lippen. Schließlich … Das sprach gegen ihn. Nach kurzem Nachdenken ließ Gerda ihn aber gewähren. Nur keine Missstimmung aufkommen lassen, schließlich waren sie Nachbarn. Irgendwie.
Der Jemand stand wieder an Gerdas Waschmaschine, Gerda neben ihm, um ihm ein „wir“ zu vermitteln. Sie blickte versonnen auf ihre neuen Schuhe, die sie seit heute trug. Lautlos bediente der Jemand die Knöpfe, die vorher so gekreischt hatten. Fast lautlos öffnete sich die Vordertür der Waschmaschine. Aber die Wäsche gurgelte, als sie sich den Weg aus der engen Maschine in die Waschküche bahnte. Und die neuen Schuhe saugten die Lauge begeistert auf, Wildleder.

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